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„Ist der Ott jetzt völlig ausgeflippt?“ – Erfahrungen mit Flipped Classroom in BWR und Wirtschaftsinformatik

Ein Lehrer, der zwei Schüler an die Tafel kommen lässt, um ihnen für die nächsten 45 Minuten die Leitung des Unterrichts zu übertragen und selbst für den Rest der Stunde stumm in der letzten Reihe sitzt? Ein Lehrer, der zu Beginn der Stunde eine kurze Präsentation hält, diese über Mikrophon und Screencasting aufnimmt, und das Video anschließend ins Internet hochlädt? Hört sich ziemlich ausgeflippt an, oder? Die verdutzten Reaktionen mancher Schüler legen jedenfalls diesen Eindruck nahe…

Die Idee:

Flipped Classroom (FC) wurde weder von mir erfunden, noch möchte ich den Anspruch erheben, diese Methode in besonders vorbildlicher Weise zu beherrschen. Vielmehr möchte ich hier lediglich das Konzept des FC vorstellen und meine Erfahrungen schildern, die ich damit in diesem Schuljahr in BWR und Wirtschaftsinformatik gesammelt habe. Der „umgedrehte Unterricht“ wurde von Jon Bergmann erfunden und ist ein Modell, bei dem die beiden Lernorte Schule und heimischer Schreibtisch einfach umgedreht werden. Der traditionelle Unterricht (TU) sieht so aus: Die Wissensvermittlung erfolgt in der Schule; während der Übungsphasen zu Hause ist der Schüler allein (gelassen). Im FC geschieht der Input daheim und in der Schule wird (nur) geübt. Dabei ist FC keine gänzlich neue Idee, so mancher Lehrer hat schon mal als Hausaufgabe gegeben: „Lest Euch bis morgen die Seiten 80 bis 82 durch. Morgen sprechen wir dann darüber.“ Was jedoch beim FC neu ist, ist die Nutzung der neuen Medien. Die Wissensvermittlung erfolgt mit Hilfe von vom Lehrer produzierten Videos, die die Schüler dank Smartphones und Tablets orts- und zeitunabhängig anschauen können (also z. B. schon auf der Busfahrt nach Hause oder nochmals am Morgen auf dem Weg zur Schule). Weiterer Vorteil dieser Lernvideos ist, dass der Schüler die Pausetaste drücken kann, um einen Lernschritt in Ruhe nachvollziehen zu können. Natürlich kann der Schüler das Video so oft anschauen, bis er die Inhalte verstanden hat. Auf diese Art kann jeder Schüler in seinem individuellen Tempo lernen. Sollten trotzdem noch Fragen bestehen, so können sie im Forum in mebis gestellt und von Mitschülern und vom Lehrer beantwortet werden. Jedes Video endet mit einer Zusammenfassung, die von den Schülern als Hefteintrag abgeschrieben wird.

Beim TU werden die Schüler mit ihrem heterogenen Vorwissen und ihrer unterschiedlicher Motivation alle im selben Tempo unterrichtet; es gibt (fast) keine Möglichkeit, den Unterricht anzuhalten (die „Pausetaste“ zu drücken) um einen Gedanken nachzuvollziehen; wer den Anschluss verliert, schreibt letztendlich nur noch mit und hofft, bis zum Ende der Stunde nicht mehr aufgerufen zu werden.

Was geschieht beim FC dann eigentlich im Unterricht?

Prof. Dr. Christian Spannagel, Pionier des FC in Deutschland sagt pointiert: „Jeden Morgen kommen 25 Leute im Klassenzimmer zusammen, um sich hinzusetzen und die Klappe zu halten. Das ist unökonomisch.“ Er zitiert deshalb die Forderung „Give the classroom back to the pupils.“ Also: „Überlass das Klassenzimmer wieder den Schülern.“ Die Schüler sollen im Klassenzimmer wieder verstärkt miteinander reden, diskutieren, sich inspirieren und miteinander interagieren. Das kann z. B. durch die Form des „Aktiven Plenums“ (AP) erfolgen. Dies läuft wie folgt ab: Der Lehrer stellt eine Aufgabe; zwei Schüler kommen nach vorne an die Tafel. Der eine (der „Moderator“) hat die Aufgabe, die Schüler aufzurufen und ggf. zum Mitmachen zu motivieren. Der andere (der „Schreiber“) notiert die vom Plenum genannten Lösungsschritte. Beide – Moderator und Schreiber – nehmen zu den Inhalten keine Stellung, lediglich das Plenum ist für die Lösung verantwortlich. Das bedeutet natürlich auch, dass sich manche Lösungswege als Irrwege herausstellen und Fehler gemacht werden. Doch dies festzustellen ist primär Aufgabe des Plenums. Der Lehrer greift nur bei groben Fehlern ein und sorgt ansonsten für eine konzentrierte Atmosphäre.

Alternativ zum AP kann auch „Lernen durch Lehren“ durchgeführt werden, wie es in Deutschland als Vorreiter z.B. Jean-Pol Martin aus Eichstätt oder Erich Hammer von den BO Kitzingen praktiziert haben. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass stärkere Schüler ihre Mitschüler bei der Problemlösung unterstützen – ein Gewinn für beide Seiten.

Meine Erfahrungen:

Nachdem ich mir die notwendige Hardware (das Go Mic-Mikrophon von Samson und eine Maus ohne Klickgeräusche von Nexus) gekauft und mich in die Bedienung der Software screencast-o-matic eingearbeitet hatte, erstellte ich eine animierte Powerpoint-Präsentation, die ich als Grundlage für meinen Vortrag nutzte. Beides – Bild und Ton – wurde live von der Software aufgenommen – fertig war das erste Screencastvideo (SCV), das ich dann in meinen Vimeo-Kanal hochlud.

Die ersten Videos waren erst nach einigen Versuchen „im Kasten“, da ich sie wegen Versprechern oder kleinen „Hängern“ abgebrochen hatte. Erst im Laufe der Aufnahmen für die nächsten Videos entwickelte ich die Coolness diese Versprecher zu akzeptieren; denn schließlich sind es „Live-Aufnahmen“ ohne vorher verfasstes Skript. So sagt auch Aaron Sams, Pionier des FC: „Do you need it perfect, or do you need it by Tuesday?“.

Per E-Mail schickte ich den Schülern den Link zu dem jeweils relevanten Video, verbunden mit der Hausaufgabe, das Video anzuschauen, die letzte Seite der Präsentation als Hefteintrag abzuschreiben und die Inhalte zu lernen.

Ergebnis: Die Videos wurden leider manchmal nur sporadisch angeschaut, vor allem bei den Themen, bei denen die BOS-Schüler ein großes Vorwissen mitbrachten (z. B: Einführung in die Abschreibungen). Diese Einschätzung bestätigen die Klickzahlen beim Video „Einführung Entity-Relationship-Modelle“, wo die Schüler in der Regel ohne Vorwissen an die Schule kommen: Dieses Video wurde von drei Klassen mehr als 200 Mal angeschaut. Eines der BWR-Videos nahm ich live im Unterricht auf: Das hätte die Chance geboten, auf spontan auftretende Schülerfragen sofort eingehen zu können.

Die Übungsphase im Unterricht in Form des Aktiven Plenums habe ich mehrfach durchgeführt. Ich erinnere mich noch sehr gut an Benjamin und Uli (BOS12), bzw. Benedikt und Jonathan (FOS12), die es in hervorragender Weise verstanden, die Mitschüler zur Mitarbeit zu motivieren und den Problemlösungsweg zu moderieren. In diesen Stunden habe ich erfahren, was es bedeutet, „das Klassenzimmer wieder den Schülern zu überlassen“: Der Lehrer gibt seine zentrale und weitestgehend dominierende Rolle im Klassenzimmer auf, überträgt den Schülern (teilweise) die Verantwortung und gibt ihnen die Möglichkeit, ihre Kommunikations-, Kooperations- und Problemlösungskompetenzen zu stärken.

Das Feedback der Schüler:

„… war FC ein voller Erfolg. Die Videos ermöglichten ein wiederholtes Anschauen zu Hause, falls der teilweise doch sehr anspruchsvolle Stoff beim ersten Mal nicht verstanden wurde. Zudem kann damit das Problem aus der Welt geschafft werden, Inhalte abzuprüfen, die nur mündlich einige Stunden vor der Prüfung erwähnt wurden. Der Schüler hat die Möglichkeit relevante Videos kurz vor der Prüfung noch mal anzusehen, sodass es nicht passieren kann, Inhalte oder Beispiele, die nur mündlich im Unterricht angesprochen wurden, zu vergessen. Die Phasen des aktiven Plenums haben mir sehr gut gefallen, da es Abwechslung in den Schulalltag und eine Auflockerung der teilweise recht trockenen Theorie bringt …“

„Zum Lernen mit Video: An sich eine schöne Sache, jedoch muss dann auch das System funktionieren, sodass sich jeder dieses auch wirklich anschauen kann.“

„… war das „FC“-Projekt ein voller Erfolg, da es eine innovative Variante zur herkömmlichen Unterrichtsgestaltung darstellt und das Interesse der Schüler zum Lernen neu erwecken kann, da diese sowieso sehr an Medien gebunden sind. Auch die Phase des aktiven Plenums ist eine sehr gute Variante, jedoch sind dafür nur Schüler geeignet, welche keine größeren Probleme mit einem freien Vortrag vor versammelten Menschenmengen haben. Alles in allem ist das aber eine sehr zukunftsweisende Methode…“

„… finde die Idee mit dem Lernen über Videos an sich nicht verkehrt, muss aber sagen, dass ich mir den Stoff besser einprägen hab können, als er im Unterricht behandelt wurde, da dort der persönliche Kontakt bestand. Die Videos waren für mich am hilfreichsten zum nochmal Nachschauen und Wiederholen, nachdem ich es im Unterricht richtig verstanden habe. Ich muss aber auch sagen, dass ich generell eher schneller lerne bzw. mich leichter tueh wenn ich etwas durch ein Gespräch oder von Angesicht zu Angesicht vermittelt bekomme, da ich dort gleich alle Unklarheiten durch Fragen beseitigen kann…“